Vielleicht wäre es einfacher, wenn ich GAR nichts über Shakespeare wüsste. Gar nichts – oder bereits alles. Aber dieses Viertel- bis Halbwissen macht mir eine echte, unvoreingenommene Begegnung mit ihm natürlich unmöglich. Und trotzdem soll das das Ziel sein, oder zumindest ein Vorhaben: eine echte Auseinandersetzung, eine authentische Begegnung mit dem Werk Shakespeares. Eine Entdeckung.
Ich weiß nicht viel, aber was ich zu wissen glaube, ist genug, um mir diese Entdeckung zu einer Farce zu machen. Ich komme mir vor wie jemand, der 400 Jahre nach Columbus Amerika entdeckt … während die halbe Welt schon da gewesen ist und die andere Hälfte davon gehört hat.
Als ich siebzehn war, haben wir im Deutsch-LK Was ihr wollt gelesen – ich habe kein Wort verstanden, kann mich zumindest nicht erinnern. Dann gab’s da die Viel-Lärm-um-nichts-Verfilmung von und mit Kenneth Branagh – eine romantische Schnulze, von der ein paar Mädchen in der Schule schwärmten, weshalb ich sie natürlich sehen musste. Damals schon fragte ich mich: warum sind das alles Italiener?
Im ersten Semester Germanistik habe ich Macbeth, Othello und Hamlet gelesen, alle in der damals neuen Übersetzung von Frank Günther bei dtv. Im gleichen Jahr sah ich Othello im Kölner Schauspielhaus. Später habe ich noch König Lear, Verlorene Liebesmüh und Der Kaufmann von Venedig gelesen. Dann ein paar Sonette, von denen ich eins versuchte auswendig zu lernen: natürlich Sonett 18, Shall I compare thee to a summer’s day …
Dann noch ein paar Filme, ein paar Aufführungen, darunter zwei im Globe Theatre, London, und zwei im Globe Neuss; einen Besuch im Geburtshaus in Stratford-upon-Avon, am Grabstein und im Haus seiner Schwester und eine Aufführung von Othello von der Royal Shakespeare Company ebendort. Im letzten Jahr las ich noch Bill Brysons Monographie Shakespeare – wie ich ihn sehe, von der ich nicht viel behielt als: Eigentlich weiß man über Shakespeare gar nichts.
Passt doch prima: Also weiß auch ich tatsächlich gar nichts über Shakespeare … ich kann getrost vergessen, was ich zu wissen glaubte!
Es wundert mich nicht, dass meine ersten Probleme bereits anfangen, bevor ich überhaupt eine Zeile echten Shakespeares für dieses Projekt aufgeschlagen habe. Eines dieser Probleme lautet freilich: Womit beginnen? Da wir ja nichts über ihn wissen, ist auch nicht sicher, welches Drama sein erstes war.
Establishing the chronology of Shakespeare’s plays is a most frustrating and difficult task,
lese ich auf shakespeare-online.com. Man kann zudem nach der Entstehungszeit gehen oder nach der Erstaufführung – oder auch nach dem ersten Druck. Da ich mich entschieden habe, die Werke so zu lesen, wie sie wahrscheinlich aus der Feder des Mannes (der Männer? der Frau? der Frauen?) geflossen sind, den/die wir „Shakespeare“ nennen, muss ich also mit The Two Gentlemen of Verona anfangen. Die zwei Herren aus Verona.
Und da begegnet mir direkt das nächste Problem: Da ich Übersetzungen lesen will und noch dazu heute, an einem Sonntag im April, beginnen will, muss ich mich entscheiden: zwischen einer alten Übersetzung von Karl Simrock, einer noch älteren von Dorothea Tieck, der Erich Frieds von 1970 und der „aktuellen“ von Frank Günther, die aber 33 € kostet!
Ich entscheide mich also für Schnell & Billig … die 99-Cent-iBook-Ausgabe vom jazzybe

e-Verlag, übersetzt im Jahre 1832 von Dorothea Tieck! Vielleicht nicht die beste Wahl, um sich auf die Reise mit Shakespeare zu begeben – eine uralte Übertragung ohne Anmerkungen, ohne Fußnoten, ohne kritischen Kommentar, bloß der reine Text …
Also ein Stück, von dem ich nichts kenne als den Titel (und nicht nur ich, wie ich lese: „Es wird bis heute selten gespielt und findet unter Gelehrten wenig Beachtung„), geschrieben 1589, eine vielleicht hoffnungslos überholte Übersetzung, und dann spielt es auch noch in Italien … Dein Ernst, William?
Aber was soll’s? Los geht’s!
Die beiden Veroneser
Ein Platz in Verona also und offenbar begegnen uns die beiden Helden direkt zu Beginn – die Freunde Valentin und Proteus. Valentin ist eher so Typ Draufgänger, Proteus eher der emotionale. Valentin verlässt Verona und seinen Freund, Proteus bleibt, denn er ist in Julia verliebt … ich ahne schon, worauf das Ganze hinausläuft, ist schließlich eine Komödie.
Proteus vergeht vor Liebe und Verliebtsein, und das kann nicht gut enden. Seine Haltung scheint ein wenig selbstbezogen zu sein, und das macht ihn nicht gerade glücklich. Wenigstens weiß er es selbst:
Trotz biet ich gutem Rat, die Welt nichts achtend;
Krank ist mein trüber Sinn, in Leid verschmachtend