Dieser Film ist ein Zwitterwesen. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Zu ambitioniert für ein B-Movie, zu naiv für ernstzunehmendes Autorenkino. Man kann Regisseur Dominik Graf, mehrfacher Grimme-Preisträger, momentan nicht gut kritisieren, und wenn man es tut, sieht es nach Querulantentum aus Prinzip aus. Und tatsächlich braucht es nach „Fack ju, Göhte“ anscheinend nur ein das deutsche Bildungserbe nicht mit Füßen tretendes Werk, um es als Segen für das Publikumbezeichnen zu können.
Aber Grafs neuester Film, eine Art freischwebendes Biopic über Friedrich Schiller und seine Beziehung zu den beiden Schwestern von Lengefeld, deren jüngere er ehelicht, während er mit der älteren eine Liebesbeziehung unterhält, die in die Geburt eines unehelichen Sohnes mündet – Grafs Film ist eine eigenartige Mischung aus gut gemeint und nicht gekonnt verfilmter Literaturgeschichte auf der einen Seite und prächtigem Kostüm- und Historienfilm auf der anderen.
Die Misere beginnt und endet mit der Erzählerstimme aus dem Off, die gleich zu Beginn so penetrant und neunmalklug, als spräche der Béla Réthy des Kunstfilms, jegliches ästhetische Einfühlen in Figuren, Bilder, Dialoge und Plot zu verhindern weiß, dass man ab der Mitte des Films, wenn dem Kommentator die Ideen ausgegangen zu sein scheinen, bei jeder etwas ruhigeren Szene seine Hände in die Kinolehne verkrampft findet vor Angst, „die Stimme“ möchte noch einmal ihre Lebensweisheiten zu Gehör bringen wollen. Und das lässt sie sich, wenn auch in ertragbarerer Frequenz, bis zum Ende nicht nehmen, sodass man endlich Robert McKees in „Adaption“ zitiertes Gebot für Drehbuchschreiber versteht: Auf Voice Over verzichten!
That’s flaccid, sloppy writing. Any idiot can write a voice-over narration to explain the thoughts of a character.
Wer nicht mit Bildern und den Taten und Worten seiner Figuren nicht zu transportieren vermag, worum es ihm geht, der kann diese Aufgabe auch und erst recht nicht einem allwissenden Erzähler überlassen, der seinen Zuhörern die wahre Lesart erklärt.
Es ist die Stimme keines Geringeren als des Regisseurs selber, eine warme und charaktervolle Stimme, von der man sich gern mal den „Stechlin“ vornuscheln ließe. Und da ist wohl auch die Wurzel des Problems zu suchen: Es ist nicht klar, welcher Teufel Graf geritten haben mag, die Macht seiner so wundervoll ausgewählten Bilder durch diesen „Kunstgriff“ derart zu schwächen, dass ungetrübter ästhetischer Genuss nicht mehr möglich ist. Aber es ist klar, dass der Film eher als Bewerbungsvideo für die Filmschule daherkommt – im besten Fall auch als ein Erklärvideo wie beim Schiedsrichterlehrgang.
Ach, gäbe es doch schon die Möglichkeit, die Kommentarfunktion per Tastendruck zu pausieren und ohne den geschwätzigen Märchenonkel auszukommen, der hier die Aufgabe hat, Zeitsprünge zu füllen, da dem Zuschauer die Funktion einer Szene erklärt, dort – Tiefpunkt des Films – uns über das Wesen der Liebe aufklärt – und schließlich im Proseminarton über die Rezeptionsgeschichte doziert.
Geschwätzig ist überhaupt das Stichwort dieses Films, denn nicht nur der Erzähler, auch die Dialoge selber und leider auch die Bilder schwätzen den Zuschauer während der 138 Minuten voll, dass man sich fragt, ob das Drehbuch von zwei verschiedenen Menschen geschrieben wurde.
Alles muss zwei und drei Mal gesagt werden, damit es der Zuschauer auch versteht. Seelische Konflikte lieber doppelt begründen und zur Erinnerung noch einmal eine zweisekündige Rückblende, falls jemand es vergessen hat. Carolines und Charlottes Mutter plaudert zu Beginn darüber, dass sie ihrer Tochter gesagt habe, wenn die Familie nur noch ein Service besitze, dann betrachte sie sich als arm. Am Schluss reicht es dann natürlich nicht, die Familie mit nur einem Service in Jena ankommen zu lassen, es reicht nicht mal, Frau von Lengefeld dies einmal erwähnen zu lassen, schließlich sind schon zwei Stunden vergangen! Die arme Mutter muss alles noch einmal wiederholen und das so geschickt vorbereitete Motiv zerdeppern wie die Teller und Tassen, die schließlich von ihren Töchtern als „Erregungsrequisite“ (Sven Regener) missbraucht werden. Geschwätzig.
Schöne Motive lässt sich das Drehbuch einfallen, und eine Freude ist es, wie sie in Szene gesetzt werden: der Rheinfall bei Schaffhausen dient als stimmungsvoller Hintergrund für den Schwesternschwur, sich immer alles sagen zu wollen. Die Szenen in Rudolstadt strahlen die Atmosphäre eines noch unbeschwerten Sommers der Liebelei aus. Wenn es doch dabei bleiben könnte – aber die Geschwätzigkeit der Dialoge, die unnatürlich schnelle Schnittfolge, die im weiteren Verlauf den Eigenwert der Bilder zunichte macht und dem Flair eines romantischen Ménage-à-trois-Dramas so entgegenkommt wie ein Streichquartett einem Eminem-Film (wie sich überhaupt der Film bei der Entwicklung seiner Figuren und Konflikte so wenig Zeit und so wenig Rätsel offen lässt, als wären wir bei Michael Bay), die historischen Ungereimtheiten und die lachhaft aufdringlichen, offenbar von einem überambitionierten und unterbezahlten Grafikdesignstudenten im ersten Semester mit Power Point erstellten Einblendungen, und das in einer Schrift, die Comic Sans als Inbegriff von Understatement erscheinen lässt – all das zerstört jegliches Einfühlen in das tragische Sujet (das dem Publikum allerdings herzlich schnuppe bliebe, ginge es nicht um unseren Schiller und wären da nicht die überzeugenden Schauspieler, allen voran Henriette Confurius).
Doch all das ließe sich vielleicht noch verkraften, verlöre der Film nicht so bald schon seinen Fokus, dass man sich fragen würde, ob er je einen hatte – wäre da nicht der Titel. Aber viel eher noch als ein Film über Schillers imaginierte Dreiecksbeziehung scheint es sich um eine Spielfilm-Doku über das zeitgenössische Post-, Druck- und Verlagswesen zu handeln – mit Exkursen zur Auswirkungen der französischen Revolution auf das deutsche Geistesleben im Allgemeinen und Schillers Zahnweh im Besonderen. Ob es aber um das Verhältnis der Schwestern untereinander oder zu Schiller oder dessen Seelenpein in diesem Dilemma oder um die Unmöglichkeit der Liebe gehen soll, bleibt in den Tiefen und Untiefen des Drehbuchs verborgen. Wahrscheinlich gleich um alles zusammen. Aber das sagt einem ja leider auch keine Stimme aus dem Off mehr.