Ein Gastbeitrag von Peter Urbansky, Dozent und Autor.
Vor 50 Jahren, als wir in Deutschland tatsächlich so etwas wie eine funktionierende Demokratie, Meinungsvielfalt und sogar eine gewisse Bereitschaft zu sozialen Experimenten etabliert hatten, verschwor sich eine kleine aber sehr lautstarke Gruppe, genau diese Verhältnisse zu zerschlagen. In einer Atmosphäre von relativer Freiheit, Offenheit und zunehmender Toleranz erscholl ihr Kampfruf: Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Das waren die „berühmten“ 68er. Ganz unverhohlen sympathisierten sie gar mit bewaffneten Extremisten, die den Umsturz ganz offen mit Gewalt, Bomben und Mord zu betreiben, sich genötigt sahen. Dutschke, Cohn-Bendit und Co. lieferten den ideologischen Unterbau für die berüchtigte Rote Armee Fraktion (RAF), die Antifa und ihre gewaltbereiten „Follower“. Wenn sich auch der „verhasste BRD-Staat“ und sein Grundgesetz nicht auf die Schnelle wegmorden und zerschlagen ließ, so wurde doch wenigstens der Weg frei gebombt, für den sagenhaften „Marsch durch die Institutionen“. Es erinnert fast etwas an den gescheiterten Hitlerputsch im November 1923 und den darauf folgenden legalen Marsch der Nationalsozialisten durch die Institutionen der Weimarer Republik und an die Macht.
Ganz erstaunlich ist die endlose Geduld, Toleranz, Sorgfalt, Differenziertheit und verständnisvolle Hingabe, mit welcher die Medien der 70er, 80er und 90er Jahre (eigentlich bis heute), die Ambitionen, möglichen Ursachen und Motive dieser radikalen, gewalttätigen Amokläufer bis zur Ermüdung ausdiskutierten. Bis heute sind die „Opfer“ des BRD-Staates, genaugenommen des Grundgesetzes (!), in diversen privaten und öffentlichen Kreisen zu Ikonen einer unbestimmten Revolutionsidee geworden. Neben dem weltbekannten Che Guevara-Poster hängt da häufig auch Ulrike Meinhoff, Andreas Baader und natürlich der Märtyrer, Rudi Dutschke.
Vielleicht doch nicht so erstaunlich, denn der „Marsch durch die Institutionen“ ist den 68ern (im Gegensatz zu Hitler), langfristig gelungen. Alle wichtigen Positionen in Kultur, Medien und Politik sind entweder noch direkt von Alt-68ern besetzt, von deren Parteigängern, Mitläufern oder gläubigen Schülern. Der Verteidiger der RAF-Terroristen, Otto Schilly, brachte es gar zum Innenminister. Ein wahrer Joseph Fouché Deutschlands! Nichts ist so effizient und gefährlich, wie ein Panzerknacker, der in den Vorstand der Bank gewählt wird. Diese Liste von „Panzerknackern“ ließe sich endlos fortsetzen. Wer damals schon auf diese grotesken Zustände hinwies, wurde sogleich mit der Nazikeule erschlagen. Nur Industrie und Handel besetzten ihre Spitzenpositionen vorerst weiterhin mit Männern und Frauen, die wirklich etwas leisten konnten.
Heute ist es vollbracht: Die Herrschaft der Strolche! Nun gibt es keine endlose Geduld, Toleranz, Sorgfalt, Differenziertheit und verständnisvolle Hingabe mehr in Politik oder Linienpresse, für abweichende Meinungen, deren Motiv oder mögliche Ursachen. Wohlgemerkt: Wir reden nicht von Bombenlegern, politischen Mördern und deren Sympathisanten. Wir reden nur von abweichenden Meinungen oder einer Handvoll Künstlern, die einfach mal originell Kritik äußern!
Dialog oder gar Diskussion? Nichts davon. Als „Interview“ gesendete Verhöre a la Roland Freisler (siehe Jan Josef Liefers), Hetze, Desinformation, Diskriminierung, Berufsverbote, Einschüchterung, soziale Spaltung sind die Antwort.
Das scheinbar Irrationale erklärt sich leicht, wenn man von weiter oben draufsieht. Die erbitterten Gegner jeglicher offenen Gesellschaft sind nach über 40 Jahren am Ziel. Es ist gar nicht „irrsinnig“, dass Menschen verhaftet und von der „neuen Staatsmacht“ zu Boden geworfen werden, nur weil sie das Grundgesetz präsentieren oder laut vorlesen. Wohlgemerkt: das Grundgesetz! Nicht etwa das Parteiprogramm der NSDAP. Es ist kein Rätsel, dass niemand dieser einstmals geradezu paranoiden Verteidiger von „Gleichheit“, Bürger- und Menschenrechten sich mehr meldet. Es ist nicht verwunderlich, dass Figuren wie Udo Lindenberg, einst Ikonen der Freiheit, jetzt zum Sinnbild menschenverachtender Zwangsmaßnahmen werden. Diese Leute haben sich nicht geändert, sie waren immer so.
Und jetzt endlich „machen sie kaputt, was sie kaputt machte“: Jede Form von Freiheit (außer ihrer eigenen). Jede Achtung vor dem Leben und der Gesundheit anderer, Respekt vor natürlichen gewachsenen Sozialstrukturen, Verständnis für Kinder, Eigenverantwortung, Eigentum, Eigenartigkeit, freie Forschung, Wissenschaft und Lehre, Rechtsstaatlichkeit, Verhältnismäßigkeit der Mittel und jede Form von Identität. Für diese psychopathischen Cliquen, die bereits jetzt die meisten Stellen der vergangenen
„Eliten“ besetzt halten, sind all diese zivilisatorischen Errungenschaften unerträglich, hinderlich, bedeutungslos und für die jüngeren unter ihnen sogar völlig unverständlich. Wer das begriffen hat, dem erschließt sich sehr schnell, das angeblich Irre, Unglaubliche, das Ungeheuerliche, was wir gerade erleben – als schlicht und einfach: logisch – zwangsläufig. Dann passt plötzlich alles zusammen. Die neue überorwellsche Ordnung definiert bereits seit langem, per ständig angepasstem Neusprech (z.B. staatlich verordnete „Unwörter“), kritische Frager und unabhängige Denker als unsolidarische Feinde der schönen neuen Welt.
Weder Orwell noch Huxley hätten es für möglich gehalten, dass irgendwann mal allein die Willensäußerung zu freiem Atmen, öffentlich als asoziale Gefährdung angefeindet wird. Dass Kinder isoliert, schikaniert und praktisch misshandelt werden. Dass alte Menschen in einem offen eingeräumten „Feldversuch“ zur Erprobung von „Medikamenten“ vorgeschoben werden, ein Privileg, das sonst nur Ratten vorbehalten war. Dass Gesellschaften zerschlagen werden in brave, digitalisierte Impflinge und in Leugner und Gefährder.
Die kriminellen Geschäftemacher (Gates & Co) sind in diesem Verbrecheralbum unserer coronaren Apokalypse noch die am wenigsten bedenklichen Erscheinungen. Denn mit gewitzten Dieben und Betrügern gibt es selbst vom Standpunkt der Vernunft noch eine Verhandlungsbasis: Beute! Diese Mafiosi werden auch eine weniger totalitäre Gesellschaftsordnung unterstützen, wenn die Renditen passen. Sie haben es immer getan.
Richtig gefährlich sind jedoch die Schwachköpfe und Ideologen. Sie blinzeln mit ihren dummen Gutmenschenaugen durch die Fenster des Schlosses Bellevue, vom Bundeskanzleramt oder aus naturfarbenen Parteizentralen. Sie zetern hysterisch über jeden Versuch des Zweifelns, Fragens oder gar des Aufbegehrens und sie beschwören, voll des dümmlichsten Pathos, je nach Bedarf, die Rasse, das Proletariat, die Volks- oder die Viralgemeinschaft.
Wenn’s gut läuft, finden sich diese widerwärtigen Zerstörer auf einer Anklagebank, wie einst in Nürnberg, wieder. Das mag Siegerjustiz gewesen sein, aber die (unbewusste?) Motivation war richtig: Mit dieser Sorte Verbrecher kann man nichts verhandeln, man kann sie nur aburteilen.
Von dieser historischen Perspektive aus könnte sich unsere Tragödie erschließen und was nun
zu tun wäre. Aber „Geschichte“ ist Unterhaltungsprogramm oder ein Ordnungsinstrument. Noch nie hat der Mensch aus ihr irgend etwas gelernt.
Wir erleben eine Phase, wie zur Zeit der Völkerwanderung. Arnold Toynbee wird gerade wieder bestätigt: Zivilisationen werden nicht zerstört – sie zerstören sich selbst. Es gibt heute (wie eh und je) nur eine Handvoll Frauen und Männer, die diesen Zusammenhang, erkennen können und auch wollen. Sie versuchen alles, um das scheinbar Unabwendbare aufzuhalten. Sie mögen alle überrollt werden, aber in der Geschichtsschreibung einer künftigen, würdigen Zivilisation würden sie immerhin erhalten bleiben. Als beispielhafte Exemplare einer Spezies, die (frei nach Oswald Spengler) auch im Sturm des „Untergangs des Abendlandes“ aufrecht an ihrem Platz geblieben sind. Für all diese „Aristokraten“, fürchte ich, wird es kein „Morgen“ geben – aber ein besseres „Übermorgen“ wird von ihrer Haltung zehren. Das lohnt schon den Einsatz.
Ach so war das? Die Antifa ist 68 entstanden?
Vor ’68 war echte Demokratie?
Tja dann. Dann habe ich wohl in einem anderen Land gelebt. (Hab ich 68 tatsächlich.)
Da war mein Geschichts- und Deutschunterricht wohl doch nicht so schlecht …
Re-definition von Geschichte nenn ich das, aber als guter post-68er lass ich auch das als Meinung natürlich gelten. Als Analyse jedoch nicht.
Wer 1968 sagen wir mal 25 Jahre alt war, ist heute … genau: wie Wieler, Söder und Spahn, gell?
Und genauso in Frankreich, Spanien, Marrokko, Kalifornien und Neuseeland. Die hatten auch alle 1968. Drum marschieren die jetzt alle im Stechschritt, pardon, im lockstep.
Schade finde ich nur, dass ich sowas nun auch hier lesen muss – ich weiss, müsste ich nicht; aber ich muss es dann doch! – hier, am Rückzugsort, nach der täglichen Jagd nach und baldigen Flucht vor corona-bezogenen, Freiheit begrenzenden Texten.
Da bin ich doch eher auf der Seite von Gabriele Gysi – ¡wunderbar! – die im Interview mit Jens Lehrich in einem Nebensatz sagt (so in etwa) ‚Wenn Hilary Clinton schon „links“ ist, dann gibt es keine Kategorien mehr!‘
(Knutschen könnt ich sie, und dabei blitzt ihr der Schalk nur so aus den Augen.) Da entsteht Freiheit, da wird Zukunft froh! (Hört mal rein in das Interview: macht Spaß, macht Mut.)
Nun, von diesem Geistesort hier bin ich für heute verjagt. Ciervo herido (Che Guevara) … komm, suchen wir einen weiteren Rückzugsort. Für heute wenigstens.
Oben ist oben und unten ist unten.
Oben und unten.
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