Freigang im grünen Serbien – Ein Reisebericht vom Mai 2021

Erster Eindruck von Serbien: Sonnenaufgang in der Wojwodina. Der Alptraum ist vorbei.

Sloboda!

Darf man denn das? Nach einem Jahr „Neuer Normalität“ und ständiger Beschallung über „Risikogebiete“, Grenzschließungen und Immunitätsausweise habe ich gar nicht so richtig geglaubt, dass man einfach so ohne nennenswerte Schikanen quer durch Europa fahren kann und am Ende tatsächlich da ankommt, wo man hin will. Im Mai begleitete ich einen befreundeten Agrarwissenschaftler und Selbstständigen auf seiner Fahrt in das Balkanland Serbien, wo er nach Möglichkeiten für einen Neustart oder zumindest ein Refugium sucht, am besten auf einem eigenen Stück Land. Wir hatten befürchtet, ohne Testnachweis nicht einmal über die tschechische Grenze zu kommen und so erscheint es uns wie ein kleines Wunder, als uns die serbischen Grenzbeamten durchwinken und wir kurz danach im Sonnenaufgang froh nach Süden rollen.

„Sloboda!“, denke ich, „Freiheit“. Den neuen Totalitarismus, der die westlichen Länder weitgehend im Würgegriff hält, kann ich hier zum ersten Mal getrost vergessen. Die Republik Serbien gilt zwar als korrupt und autoritär geführt und sicherlich findet man hier kein Schlaraffenland, doch sind es gar keine utopischen Hoffnungen, die wir hegen. Ganz bescheiden suchen wir nur ein Land, in dem man frei atmen kann, sich frei bewegen und frei reden kann ohne Gängelung, Rechtfertigungsdruck und betreutes Denken. Ein Land in dem man unter Menschen mit richtigen Gesichtern, mit Herz, Verstand und Würde ist. Und das im Jahre 2021. Ja, „bescheiden“ nenne ich diesen Wunsch. Darf man denn das? Natürlich darf man, denn in Europa ist noch mehr möglich als man nach einem Jahr Pandemieregime denken könnte.

Uns beiden ist das Land auf dem ersten Blick sympathisch. Hier im Norden, in der Wojwodina, dem serbischen Teil der pannonischen Tiefebene, ist die Kornkammer des Balkans. Mein Gefährte, ein geschäftstüchtiger Agrarexperte, gerät ins Schwärmen. Die Äcker sehen vielversprechend aus. Alles ist üppiger und grüner. Die Landschaft wirkt offener, weniger verbaut. Die Straßen sind nicht verkleistert mit Reklame und Verkehrsschildern. Nichts ist hier aufdringlich.

Am ersten Ziel unserer Reise, der mittelserbischen Großstadt Kragujewac, besuchen wir Torsten und Elli, ein deutsch-serbisches Ehepaar. Beide leben und arbeiten eigentlich in Deutschland, doch die Coronamaßnahmen wollen sie nicht mittragen, weshalb sie sich an unseren Auswanderungsplänen beteiligen und uns mit ihrem Wissen, ihren Sprachkenntnissen und Kontakten tatkräftig unterstützen und uns die Stadt zeigen.

Hier in Kragujewac herrscht normales und entspanntes Leben in den Geschäftsvierteln. In dieser Stadt werde ich seit einem Jahr wieder ein Restaurant von innen sehen und dort sogar essen und trinken. Einfach so. An Corona erinnert mich dabei nur die Maske unter der Nase der Kellnerin. Es wird großzügig aufgetafelt in dem Land, das reich an eigener Lebensmittelproduktion ist. Die Qualität überzeugt und über die Preise muss man sich hier keine großen Gedanken machen.

Erster Restaurantbesuch nach einem Jahr.

Beim Friseurbesuch ohne „Hygienemaßnahmen“ erzählt die Friseurin freimütig darüber, wie der Laden im Lockdown erst zu war, danach aber hinter geschlossenen Jalousien das Geschäft weitergeführt wurde. Viele hätten das so gemacht, erklärt sie achselzuckend. Gesetze nicht all zu ernst zu nehmen, ist in Zeiten entgrenzter Verordnungswut geradezu Gold wert. Die Polizei ist nicht so penibel.

All dies zeigt sich auch im Umgang mit der Maske. Zwar gelten Maskenpflichten in Geschäften und anderswo, die Bereitschaft diese Regeln konsequent umzusetzen ist jedoch mal mehr mal weniger schwach ausgeprägt. Im Prinzip kann man problemlos überall unmaskiert einkaufen. Im Einkaufszentrum von Kragujewac stehen zwei „Corona-Aufseher“ in Warnwesten am Rand und schauen untätig auf das bunte Treiben. Jeder trägt die Maske wie es ihm passt. Nur die Alten scheinen die Maske wirklich ernst zu nehmen, doch Andere verzichten ganz darauf. Auch den „Corona-Aufsehern“ rutscht der blaue Fetzen schon mal bequem unter die Nase. Warum lässt man es nicht gleich bleiben, könnte man da fragen, doch die Antwort ist nicht schwer zu erraten: Die Symbolwirkung ist alles. Das ist in Serbien nicht anders als in Deutschland. Nur sind die Serben nicht so verwegen und aufopfernd, dass sie für ein kleines Symbol des „Mitmachens“ gleich Atmung und Kommunikation unterdrücken müssen. Sie belassen es bei einer dezenten Geste.

Zwischen Impfweltmeister und Verschwörungstheoretiker

Als kleines Land zwischen Ost- und Westbindung fährt Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić einen bemerkenswerten Kurs in der Pandemiepolitik, den man als eigenen „Serbischen Weg“ auffassen könnte. Man könnte aber auch von Konzeptlosigkeit sprechen. Im Frühjahr zog das Land harte Lockdown-Maßnahmen durch, die aber recht bald (vor den Parlamentswahlen) wieder gelockert wurden. Als nach der Wahl die Ausgangssprerre im Juli wieder aufgenommen wurde, flammten massive Proteste auf, die – anders als Proteste in anderen Ländern – tatsächlich dazu führten, dass die Ausgangssperre aufgehoben wurde. Seitdem gibt es nur milde freiheitsbeschränkende Maßnahmen. Trotz EU-Beitrittsverhandlungen verspürt Präsident Vučić, ein windiger Pragmatiker, keinen großen Druck, westlichen Playern mit einem strikten Pandemieregime gefallen zu müssen. Er hat auch andere Freunde.

Serbien unterhält enge Partnerschaften zu Russland und China, die beide in das Land Milliarden investieren. China sieht Serbien als wichtiges Transitland für den Warenverkehr zwischen dem chinesischen Hafen Piräus (Athen) und Mitteleuropa und baut Autobahnen durch den Balkan. In Belgrad sehen wir ein Plakat auf dem im Großformat „Bruder“ Xi Jingping als Freund und Helfer angepriesen wird. Doch auch zum Westen ist das Verhältnis, trotz ungelöster Kosovofrage und schlimmen Erinnerungen an NATO-Bombardements, heute entspannt. Viele Serben gehen zum Arbeiten nach Deutschland, denn der heimische Arbeitsmarkt ist karg.

Als die Regierung im Juli nach den heftigen Ausschreitungen verstand, dass Lockdown-Maßnahmen nicht durchzusetzen sind, verlegte sie sich auf eine großangelegte Impfkampagne, die das Land sogar zeitweise zum „Impfweltmeister“ nach Israel und Großbritannien machte und das Land in die westlichen Medien brachte. Sogar von „Impftourismus“ war zu hören. Serbien verimpft unkompliziert in großem Stil Impfstoffe aus China und Russland aber auch westliche mRNA-Stoffe wie Pfizer/Biontech. Der große „Bruder Xi“ lieferte massenweise SinoPharm, noch bevor die Impfkampagnen in den EU-Ländern überhaupt richtig anliefen.

Der Hype verlor aber schnell wieder an Fahrt. Nachdem der impfwillige Teil der Bevölkerung (ca. ein Drittel) abgefertigt wurde, war die Luft raus. Dass Präsident Vučić gegen Impfverweigerer poltert und Impflingen ein Taschengeld von ca. 25€ ausgezahlt wird, hilft nicht. Die Impfkampagne konnte nicht wieder ins Rollen gebracht werden. Vielleicht sollte man auch erwähnen, dass es auch in Serbien trotz Massenimpfung zu einem erneuten starken Anstieg von Positivtests und Todesfällen kam. Impfkritik wird in Serbien offener und prominenter geäußert als in Deutschland. Das Vertrauen in Staat und Medien ist, wie in vielen osteuropäischen Ländern, ohnehin gering ausgeprägt. Seitdem tauchen die Serben in westlichen Medien zu Weilen sogar als Impfgegner und „Verschwörungstheoretiker“ auf. So ist zu prognostizieren, dass der „Serbische Weg“ nicht zu Impf- und Testpflichten und der daraus entstehenden Zweiklassengesellschaft führen wird. Die Bevölkerung ist zu widerspenstig, zu angstfrei und wahrscheinlich auch einfach zu desinteressiert am Regierungshandeln.

Das Mausoleum von Oplenac bei Topol, ein Meisterwerk neobyzantinischer Mosaikkunst. Als Grabstätte des serbischen Adels ist Oplenac auch eine Art Nationalheiligtum. Die Serben sind stolz auf Tradition und nationales Erbe. Die Serbisch-Orthodoxe Kirche ist identitätsstiftend in dem Land, das sich im Jugoslawienkrieg gegen katholische und muslimische Nachbarn behauptete.

Desinfektion

Einen laxen Umgang mit Regeln und neumodischen Sicherheitsstandards pflegt auch Dragan, ein stämmiger Bursche, der uns Grundstücke zeigt, die Verwandte von ihm zum Verkauf anbieten. Am liebsten heizt Dragan mit seinem unverwüstlichen Jeep die Bergpfade hoch und runter. Dass der Wagen kein Nummernschild hat und gemessen an seinem Zustand auch keins bekommen würde, stört nicht. Gas und Getriebe sind noch in Schuss. Die Äste peitschen auf die Scheiben ein, der Motor kämpft bis zum Limit, um steile Pisten aus Schlamm zu überwinden. Knapp hinter uns nicht selten der Abhang. Aber Dragan bleibt komplett cool. Er kennt die Strecke und weiß was er tut.

Oben auf dem Berg in Dragans Wochenendhäuschen wird großzügig Bauernschinken und Rakija, heimischer Obstler, ausgeschenkt. Hier in Mittelserbien besteht ein großer Teil des Landes aus Obsthainen, meist kleinere Bestände in Familienbesitz. Die Erträge sind reich und stellen einen wichtigen Wirtschaftsfaktor des Landes dar. Schnaps selbst zu brennen für den Eigenbedarf ist angeblich legal. Rakija und auch Bier und Wein werden in Serbien in großen Mengen produziert und gehören fest zur Kultur. Auch Präsident Vučić zeigte sich landesväterlich, als er am Anfang der Pandemie ein Gläschen Rakija zur „Desinfektion“ empfahl.

Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Gläschen Hausbrand sich Dragan, unser unerschrockener Chauffeur, während der Rundfahrt genehmigt hat, seine Fahrtauglichkeit hat jedenfalls kein bisschen gelitten. Blind ist keiner auch geworden. Im Gegenteil. Mit leuchtenden Augen beschauen wir den schönen Pflaumenhain, die Himbeerbüsche und plaudern mit den Besitzern.

Deutsche an der Donau

Das zweite Ziel unserer Reise ist die Donauregion bei Novi Sad in der Wojwodina. Die Geschichte der Wojwodina ist eng verknüpft mit der Geschichte der Donauschwaben, deutschen Bauern, die im 17. Jahrhundert von den Habsburgern angesiedelt wurden, um das Land zwischen Donau und Theiß nach den verheerenden Kriegen mit den Osmanen neu zu beleben. Bis zum Zweiten Weltkrieg bestand ein großer Teil der Bevölkerung der Wojwodina aus ethnischen Deutschen. Man erkennt bis heute die donauschwäbischen Dörfer an der Bauweise, doch Deutsche leben hier schon lange nicht mehr. Sie wurden nach 1945 kollektiv vertrieben, da man ihnen Kollaboration mit den nationalsozialistischen Besatzern vorwarf.

In der Stadt Beočin an der Donau treffen wir Holger und Marija, ein weiteres deutsch-serbisches Paar, das uns bei unserer Landsuche unterstützt. Holger, ein leidenschaftlicher Handwerker, kehrte schon vor Jahren der deutschen Gesellschaft den Rücken und ließ sich hier mit seiner Familie nieder. Von Serbien schwärmt er. Das Land erinnert ihn an die alte Heimat, die er als Kind in den 60ern noch kennengelernt hat. Hier ist das Leben unkompliziert. Gemeinschaft und Menschlichkeit zählen und sind verlässlicher als die Bürokratie. Wenn man weiß, wie die Ding laufen und die richtigen Leute kennt, kann man sich als freiheitsliebener Mensch hier gut entfalten. Und Holger kennt die richtigen Leute. Zuallerst seine Frau, die Serbischkurse anbietet.

Touristisch hat die Gegend eigentlich viel zu bieten. Die Donau mit ihren grünen Ufern und Weingärten ist wunderbar ruhig. Der ausgedehnte Fruška Gora Nationalpark, die interessante Historie der Region und die nahgelegene Kulturmetropole Novi Sad laden zum Entdecken ein, doch das Hotel ist leer. Wegen Corona, meint der Kellner. Wir scheinen hier die einzigen ausländischen Touristen weit und breit zu sein; ein Eindruck, der uns auch schon in anderen Landesteilen beschlich. Und auch wir sind ja eigentlich nicht nur zum Gucken hier.

Über Holgers und Marijas Vermittlung finden wir in der Gegend ein kleines Grundstück, das wir prompt erwerben. Vorerst noch kein Bauernhof für die Selbstversorgung, aber ein kleines Refugium für den Anfang. Mit leeren Händen müssen wir also nicht zurückkehren.

Fruška Gora Nationalpark. Ein urwüchsiger Gebirgswald mit vielen einsamen Klöstern und Gehöften. Leider blieb für eine ausgedehnte Wanderung keine Zeit.

Und da droht sie schon: die Heimreise ins ewige Deutschland, dem Land Goethes und Goebbels. Eine Woche lang durfte ich den täglichen Wahnsinn ausblenden, doch nun ist der Freigang zu Ende und es geht wieder zurück in Merkels große, bunte Besserungsanstalt. Diese kann ich nun noch weniger ernst nehmen als vorher, doch hat sie auch einen Teil ihres Schreckens eingebüßt, seit ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass ein anderes Leben näher ist, als ich vor der Reise dachte. Der Gedanke an die Wiederkehr erleichtert.

Ein Reisebericht von Jonas, Redaktionsmitglied bei KaiserTV. Die Reise fand im Mai 2021 statt.

2 Kommentare

  1. Wir wollen am 01. August nach Frankreich fahren. In die Cevennen und schauen, ob wir uns dort ansiedeln wollen. Wobei wir grundsätzlich eher nach Russland wollen würden.

    Im April hatte ich einen entsprechenden Asylantrag bei der Botschaft in Hamburg gestellt. Leider wurde der nie beantwortet.

    Herzliche Grüße
    Axel & Familie

    Außerdem habe ich einen Entwurf für eine überlebensfähige und nachhaltige Gemeinschaft erstellt, den ich dir gern zukommen lasse.

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