Wieso man es heutzutage als langjähriger Hip-Hop Fan schwer hat
Ein Gastbeitrag von Enes Tuncer
Die Kunst schweigt. Die deutsche Gesellschaft entwickelt sich zusehends in eine problematische Richtung, es beschäftigt uns alle. Es ist fast schon ein fester Bestandteil des Alltags geworden mit Freunden, Familie, Kollegen über die neuesten Corona-Maßnahmen zu sprechen. Medien haben über die letzten Monate stark polarisiert.
Da frage ich mich als Hip- Hop Fan: Wieso greifen so wenige Künstler dieses doch so wichtige Phänomen nicht in ihrer Musik auf? Genau dafür ist doch Rap-Musik da. Sie ist ein Ventil dafür um über dein Leben, deine Gedanken oder deine Probleme zu rappen.
Und von den politischen Maßnahmen der letzten Monate waren Rapper nicht ausgenommen. Ich komme aus einer Zeit, in der Hip-Hop noch kritisch war und auch Dinge thematisiert hat, die Anti-Mainstream waren. Aber alles der Reihenfolge nach. Um zu verstehen, wieso die Hip-Hop Kultur heutzutage eine Tiefphase durchlebt und wieso diese Entwicklung mich als Hip-Hop Fan enttäuscht, muss man zuerst begreifen, woher die Hip-Hop Kultur denn eigentlich kommt und was sie bedeutet.
The Evolution
1520 Sedgwick Avenue, Bronx, New York. Hier wurde im Jahre 1973 Hip-Hop geboren.
DJ Kool Herc aus New York City, gilt als der „Vater vom Hip-Hop“. Ein in der Bronx lebender DJ legte das Fundament im Jahre 1973, als er auf einer Feier, ganz nach jamaikanischer Tradition auflegte und als erster die sogenannten „Beat-Breaks“ aus Soul-, Funk oder Discostücken isolierte und sie miteinander verknüpfte.
Und so entstand das erste Element der Hip-Hop Kultur: Das DJ’ing. Aus dem DJ’ing heraus entwickelte sich dann der Rap, das MC‘ing. Die Aufgabe des Rappers bestand zu Anfangszeiten darin, die Technik des DJ’s in hohen Tönen zu loben und das Publikum zu unterhalten. Gerappt wurden spontane Improvisationen, die durch die Interaktion mit dem Publikum zelebriert wurden. Thematisiert wurden oftmals Geschichten aus der Nachbarschaft, Witze oder Aussagen, die den Zweck verfolgten, die eigene Persönlichkeit und das persönliche Können selbstlobend in den Vordergrund zu stellen.
Hip-Hop war also zu Beginn eine reine Party-Kultur. Die Leute gingen in Clubs feiern, um gute Laune zu haben und sich von Alltagsproblemen abzulenken. Insgesamt besteht Hip-Hop aus vier Elementen: Neben DJ’ing und MC’ing (Rap) kommen noch der Breakdance und Graffiti dazu. Der Breakdance entstand als direkte Reaktion auf das DJ’ing. Im Gegensatz zu Graffiti, was ursprünglich nicht zur Hip-Hop Kultur gehörte. Es entstand Ende der 60er an amerikanischen Kunsthochschulen.
Die Tatsache, dass diese vier Elemente die Hip-Hop Kultur bilden und die Kultur als „Way of Life“ begriffen wird, ist allem voran Afrika Bambaataa geschuldet. Er vereinte diese vier Elemente zu einer Kultur. Bambaataa fand sich öfters auf den Block Parties von DJ Kool Herc und wurde durch ihn ebenfalls zum DJ’ing inspiriert. Seine Musik jedoch spiele eine sekundäre Rolle. Primär wurde Bambaataa durch sein soziales Engagement zu einer Schlüsselfigur des Hip-Hops.
Es gibt noch einige andere Schlüsselfiguren und Pioniere im Hip-Hop, (die alle genannt werden müssten, es jedoch aus Gründen des Umfangs nicht werden) die alle dazu beigetragen haben, dass diese Kultur heute so existiert, wie sie existiert. Oder?
Ist heutiger Hip-Hop eigentlich noch der Hip- Hop, den die Gründerväter erschufen? Was macht Hip-Hop denn letztendlich aus? Und was macht ihn nicht aus? Letztendlich lässt sich schwer einen gemeinsamen Nenner für das Überzeugungssystem der Hip-Hop Kultur zu finden, da mit der Zeit immer mehr und verschiedenere Strömungen bzw. Sub-Genres dazu gekommen sind. Der eine rappt über Politik, der andere über seine teuren Klamotten und Autos, der eine über seine Rapfähigkeiten und der andere über sein Gangster-Leben. Doch was vereint diese verschiedenen Strömungen?
Intuitiv würde man denken: Wir werfen einen Blick auf einen der ersten Hip-Hop-Songs, der an die breite Masse getragen wurde, denn dieser legt den Grundstein für die Kultur. Nun der erste erfolgreiche Rapsong war „Rapper’s Delight“. Dieser wird jedoch szeneintern nicht als der wichtigste Rapsong aller Zeiten angesehen. Innerhalb der Hip-Hop Szene ist man sich größtenteils einig, dass „The Message“ von Grandmaster Flash and the Furious Five der wichtigste Rapsong aller Zeiten ist. Diese Wichtigkeit erlangt der Song, und jeder Song im Hip- Hop im Allgemeinen, durch den Impact, also den Einfluss auf andere Künstler und nachkommende Rapper.
Im Gegensatz zu Rappers Delight standen bei The Message zum ersten Mal authentische Vertreter, Hip-Hop Urgesteine, an der Front, die der breiten Masse ihre Musik präsentierten. Dieser Song aus dem Jahre 1982 ist eine Sozialkritik, die die Missstände in den amerikanischen Ghettos veranschaulicht und auf soziale Probleme verweist. Hip-Hop dient als Sprachrohr um die Missstände in den Ghettos zu thematisieren. Sie erstatten Bericht, vermutlich weil die Medien verklärend oder gar nicht auf ihre Situation eingehen.
1987 setzten Public Enemy, eine Rapband aus New York, an dem Punkt an, den bereits Grandmaster Flash and the Furious Five im Jahr 1982 ins Auge gefasst hatten: politischer Rap. Chuck D, der Rapper und Visionär von Public Enemy, sagte in einem Interview: „Ich wollte Musik machen, die was bedeutet“, wodurch sein Rapstil – die Mischung aus Sprachrohr einer geplagten Minderheit und dem Erzählen eigener schlechter Erfahrungen aus seinem Leben – entstand, der viele nachfolgende Rapper prägte. Inhaltlich ging es in den Rap-Songs immer wieder, um die Rechte der Schwarzen in den USA, Drogenprobleme, zu starken Fernsehkonsum, Fake News und die rassistischen Tendenzen in Hollywood.
Public Enemy fungierte somit als Stimme der Unterdrückten mit regierungskritischen Texten. Ihr Album „It Takes a Nation Of Millions to Hold Us Back” gilt bis heute als eine der wichtigsten Veröffentlichungen im Hip-Hop und hat die höchste Platzierung als Hip-Hop Album in der Rolling-Stone-Liste der 500 besten Alben aller Zeiten.
Hip-Hop transzendierte in der Zwischenzeit seine Grenzen und fing auch in Los Angeles Kalifornien Fuß zu fassen. Hier bildete sich eine „Rap-Gang“ mit dem Namen „Niggaz wit Attitudes“ (N.W.A.). Sie lebten in Compton und wurden in einem Umfeld von Gang- Kriminalität, Polizeibrutalität und Armut groß. Hinzu kam in den frühen 1980ern die Crack Epidemie. N.W.A. rappten in ihren Songs über dieses Leben. Sie rappten über ihre Realität an der Westküste und thematisierten die Probleme aus ihrem Alltag. Unter anderem gehörten Polizeibrutalität und Rassismus der schwarzen Bevölkerung gegenüber zu ihrem Alltag, wodurch der Song „Fuck tha Police“ entstanden ist.
1989 beschwerte sich das FBI beim Vertrieb, dass so ein Song zur Gewalt gegen die Polizei aufrufe und wollte, dass die Firma Priority Records die Platte zurückzieht. Sender wie MTV spielten diese Songs gar nicht erst. In den Medien wurde von ihnen berichtet und es wurden Platten verbrannt. Es wurde von allen Seiten Verbote gefordert, doch N.W.A. pochte auf ihrem Recht von „Freedom of Speech“. Sie berichteten lediglich von alltäglicher Polizeibrutalität, auch unschuldigen gegenüber die nur wegen ihrer Hautfarbe unter Verdacht gerieten. Im Sommer 1989 sollte N.W.A. ein Konzert in Detroit spielen, doch sie haben bereits im Voraus von der Polizei in Detroit gesagt bekommen, dass sie den Song „Fuck tha Police“ hier nicht spielen dürften. Ganze 30 Sekunden lief der Song auf dem Konzert, bis die Polizei, die sich draußen bereits versammelt hatte, das Konzert und die Bühne stürmte. Die Rapper rannten von der Bühne in die Arme von Polizisten, die bereits auf sie warteten. In Handschellen wurden die Rapper abgeführt.
Zwei Jahre später, als es zu den Unruhen von Los Angeles kam, dessen Auslöser die Prügelattacke von vier Polizisten auf Rodney King und der anschließende Freispruch der vier Beamten war, blickte man anders auf den „Gangsta-Rap“ aus L.A. Die Texte wirkten nun weniger als Bedrohung, sondern wurden viel mehr als Berichte aus der vordersten Front verstanden. Also auch N.W.A. nutzten ihre Stimme als Waffe gegen Unterdrückung und konnten erfolgreich auf Missstände aus ihrem Alltagsleben aufmerksam machen.
Diese Meilensteine und viele weitere Hip-Hop Alben prägten ganze Generationen an Rappern. Und sie alle haben eines gemeinsam: Sie repräsentieren Authentizität und Individualität. Das ist das was für mich und wahrscheinlich für viele andere Hip-Hop Fans die Kunst wirklich zur Kunst macht.
Man muss kein Gangster sein, um Hip-Hop zu machen, aber man muss authentisch sein und seine eigene Realität authentisch in der Kunstform des Hip-Hops verpacken. Das ist Kunst. Das ist Hip-Hop.
Nicht jeder lebt die Realität von N.W.A. oder Public Enemy. Deswegen entstanden auch andere Subgenres als nur Gangster-Rap oder politischer Rap. Zu gutem Hip-Hop gehört auch immer eine Message, etwas was man den Leuten erzählen oder mitgeben will. Aber auch im Hip-Hop gibt es, im Unterschied zu anderen Kulturen, ein enges Übereinstimmungsverhältnis zwischen Autor und Erzähler. Ein Hip-Hopper muss sich in seiner Musik widerspiegeln. Hip-Hoppern war grundsätzlich auch schon immer egal was die breite Masse über sie denkt, bis irgendwann eine breite Kommerzialisierung stattgefunden hat …
The Devolution
Die Industrie hat gemerkt, dass das zu Beginn unterschätzte Movement aus New York, doch großes wirtschaftliches Potential in sich birgt. In Folge dieser Kommerzialisierung wurde gute Kunst mit authentischen und kritischen Inhalten und echter Message zu einer Rarität im Hip- Hop. Es wird diejenige Musik gefördert, die möglichst viel Geld einbringt. Und Anti- Mainstream sein ist nicht rentabel. Diese Entwicklung hat heute seinen Höhepunkt. Die meisten Künstler müssen an einem Punkt in ihrer Karriere einen Kompromiss eingehen zwischen Kunst und kommerziellem Erfolg.
Die meisten müssen sich entscheiden zwischen dem Geld oder der Kunst. Einigen wenigen gelingt es kommerziellen Erfolg zu feiern ohne große Einbußen in der Kunstfreiheit und ihrer Authentizität hinnehmen zu müssen. Insbesondere dann, wenn ihre Realität und ihre Kunst kein Dorn im Auge der Industrie und der Öffentlichkeit ist. Doch was ist, wenn ein Künstler, und insbesondere ein Rapper, der sich als Teil der Hip-Hop Kultur sieht, bestimmte Dinge nicht mehr ansprechen kann bzw. nicht mehr ansprechen will, weil dieser sonst seinen kommerziellen Erfolg gefährdet sieht. Was passiert, wenn ein Hip-Hopper Angst vor der Cancel-Culture hat und Non-Konformität fürchtet? Ist das, was passiert, wenn die Motivation des Künstlers das Geld und nicht das Schaffen und Kreieren von zeitloser Kunst an sich ist? Ist man dann noch ein Hip-Hopper, oder doch nur ein Pop-Artist der ein bisschen rappt?
You are now witnessing the devolution of rap music. The death of poetry and smoothness, they use this. The absence of message. The inability to create meaningful change through words and verses, but the worse is, they don’t even know they hurt this artful purpose, it’s tragic.
Mit diesen Worten beschreibt Rakim, ein alte Hip-Hop Legende, die aktuelle Entwicklung im Hip- Hop relativ präzise, wie ich finde. Wann genau diese Devolution angefangen hat stattzufinden, lässt sich so genau nicht datieren. Kommerzielle Hits zu landen und große Charterfolge zu feiern gehörte auch schon in den frühen Zeiten zum Hip-Hop dazu. Auch das kritische Album „It Takes a Nation Of Millions to Hold Us Back“ beispielsweise konnte über eine Million verkaufte Platten verzeichnen. Doch heutzutage findet politischer oder kritischer Rap nur noch sehr vereinzelt und größtenteils im Underground statt. Der Underground bzw. Underground- Hip-Hop ist ein Begriff für jede Art von Hip-Hop Musik, die nicht dem generellen kommerziellem Kanon zuzuordnen ist. Es sind meist unabhängigen Künstlern mit unabhängigen Labels.
Die Musikindustrie hat sich zu einer Massenindustrie hin entwickelt und es werden größtenteils Trends und Hypes totgeritten, bis der nächste Trend da ist, welcher totgeritten werden kann, um möglichst viel Geld zu machen. Viele Rapper dürfen die Dinge, die ihnen wirklich auf dem Herzen liegen gar nicht thematisieren, weil sonst der Vertrieb nicht mitspielt. Politischer Rap oder generell: Rap, der Anti-Mainstream ist, der auch nicht beliebte Meinungen thematisiert bringt nicht genug Geld ein. Außerdem will man Konfrontationen mit der Cancel Culture möglichst vermeiden.
Das Resultat: Künstler verlieren an Bedeutung und sind in ein paar Jahren schon wieder vergessen. Obwohl es im Hip-Hop insbesondere um das Erschaffen von zeitlosen Klassikern geht. Um das Erschaffen von Musik, die in 10 Jahren noch gehört werden kann. Wahrscheinlich war Rap-Musik noch nie so inhaltslos wie aktuell.
Die Ausnahmen
Selbstverständlich gibt es Ausnahmen und einzelne Künstler, die hervorstechen, aber was heute die Ausnahme ist, war zu Golden Age Zeiten die Regel. Wer damals jung war, hörte eine breite Palette von authentischen Rappern, die ihre Individualität in der Musik ausdrückten. Wer heute jung ist, erlebt Hip-Hop als glamouröses Spektakel mit rappenden Teilzeitdesignern und Paaren wie Beyoncé Knowles und Jay-Z, die Barack Obama nicht nur zu ihren Fans, sondern auch zu ihren Freunden zählen. Wer damals jung war, verehrte Rapper und Hip-Hopper für ihren musikalischen und modischen Mut. Wer heute jung ist, bewundert sie für ihren kommerziellen Erfolg. Wer damals jung war, verehrte Rapper für ihren Mut bestimmte Sachen anzusprechen, die nicht dem Mainstream entsprachen.
Das Jahr 2020 hat diese Entwicklungen noch einmal klarer gemacht. Ein Jahr, dass uns alle gefordert hat. Ein Jahr mit politisch und menschenrechtlich sehr bedenklichen Entwicklungen. Und hier will ich den Blick auf deutschen Hip-Hop schwenken. Konkret auf eine Gruppe namens Genetikk. Als ein besorgter Bürger Deutschlands und als ein Hip-Hop Fan habe ich mich hier, bei der Musik von Genetikk, sehr wohl und aufgehoben gefühlt. Es hat mich als Hip-Hop Fan erfüllt zu sehen, dass es Artists gibt die auch Dinge thematisieren, wo andere Angst hätten gecancelt zu werden. Es ist schön zu sehen, dass es freie Künstler gibt, die Musik so machen, wie sie es aus ihrem tiefsten innerem machen wollen. Individuell und authentisch. Mit klarer Message. Das vermisse ich als ein Hip-Hop Fan. Auf Twitter lassen die beiden Genetikk-Brüder, Kappa und Sikk, nichts übrig. Sie twittern frei nach Schnauze das was auf ihrem Herzen liegt und stellen kritische Fragen.
Hier ein paar Beispiele:
Die meisten Menschen glauben, das am häufigsten gewaschene Körperteil im Jahr 2020 war die Hand. Tatsächlich war es aber das Gehirn.
Sowas wie politisch korrekte Artist gibt es nicht.
Die Kunst ist nicht dazu da, um unsere Wohnungen zu dekorieren. Sondern sie ist eine Waffe gegen den Feind.
Deutsche Artists sind wie PCR – am liebsten tief in den Rachen und sagen nichts aus.
Die Leute und Künstler die die Dinge nicht kritischst hinterfragen sind aufjedenfall das endlevel der Versager.
FREE JULIAN ASSANGE !!!!Die Meinungsfreiheit ist unsere Luft zum Atmen, ohne die Meinungsfreiheit, gibt es keine anderen Freiheiten. Seid anderer Meinung, aber hört auf zu diffamieren und dinge zu verknüpfen die NICHTS miteinander zu tun haben!!
Wir sind die radikale MITTE!! Und wir sind die meisten!! Wir lassen uns nicht instrumentalisieren und von euch etikettieren!!!
welcher rapper hat bisher eigentlich sein maul aufgemacht? Haben Angst vor dem Echo.. bald sagt niemand mehr irgendwas
LOCKDOWNS DON‘T WORK
Unzensiert, provokativ, kein Blatt vor den Mund genommen und mit einem gesellschaftskritischen Unterton regen die Genetikk-Brüder zum Denken an. Sie sind einer der wenigen, die in der Vergangenheit große kommerzielle Erfolge gefeiert haben, wie z.B. Gold Auszeichnungen für ihre Alben, die diese problematische politische und gesellschaftliche Entwicklung ansprechen und kritisch die getroffenen politischen Maßnahmen hinterfragen. Ihnen ist egal, ob sie als Schwurbler diffamiert werden, oder ob sie dadurch weniger kommerzielle Erfolge erfahren. Sie tun es für die Musik, für die Kunst, aus tiefster, innerer Überzeugung.
Songs wie German Angst und Antiassimiliert sind inhaltlich komplett Anti-Mainstream. Doch diese Songs thematisieren Dinge, über die gesprochen und nachgedacht werden muss. In ‚German Angst‘ thematisieren Genetikk, die eingebüßte Freiheit und das stille Abnicken der deutschen Gesellschaft dieser Einbüße, getrieben von ihrer sogenannten „German Angst“.
Das Musikvideo zu German Angst wurde bei Veröffentlichung auf YouTube nach relativ kurzer Zeit gesperrt, weil es zu explizite Szenen bezüglich COVID beinhaltete. Es kam nach einigen Tagen wieder zur Freischaltung, aber dann mit Altersbeschränkung und Shadowban. Und so wie ich auch zeigten sich die zwei Genetikk Brüder enttäuscht von Artists und Rappern, wenn sie zum Song twittern:
Rap und Reach sind für solche Momente gemacht. Kaum ein Rapper hat die Eier und supportet. Schaut das Video, solange es noch geht…
Auch B-Lash, Hip-Hop Urgestein aus dem Deutschrap, bestätigt diese Beobachtung, wenn er bei FAIR TALK sagt, dass viele Künstler aktuell schweigen. Er sieht die Ursache unter anderem darin, dass die Hip-Hop Kultur von der Industrie vorgegeben und kontrolliert wird. Rebellion im Hip-Hop existiere aktuell so wenig wie noch nie. Das erklärt auch, wieso Künstler wie Genetikk, die mit einem Independent-Vertrieb zusammenarbeiten, frei ihre Kreativität und Kunst entfalten können. Wie bereits erwähnt wird bei Mahir-Vertrieben dadrauf geschaut, was möglichst viel Gewinn einbringt und da ist ernsthafte Gesellschaftskritik von sensiblen Themen einfach nicht angebracht.
Künstler und Hip-Hopper wie Genetikk sind wichtig für die Kunst und wichtig für die Hip-Hop Kultur, weil sie nicht über ein Thema schweigen, dass von immenser gesellschaftlicher Relevanz ist. Auch der bereits erwähnte B-Lash gehört zu dieser Gruppe von Hip-Hoppern. B- Lash macht schon seit Anbeginn Rapmusik mit kritischen Inhalten und wird oft als „Verschwörungstheoretiker“ abgestempelt, weil er Fragen stellt, die Andere nicht stellen und weil er Dinge anspricht, die Andere nicht ansprechen. Zusammen mit MC Bogy hat er heute auf dem MC Bogy Youtube-Channel ein Format mit dem Namen „100% Realtalk Podcast“, in dem, mit Gästen wie Reiner Füllmich, Ken Jebsen, Sido, Fler etc. 100% unzensiert über Politik, Hip-Hop, Gesellschaft und verschiedene andere relevante Themen gesprochen und debattiert wird. Genau so ein Format braucht die Kultur!
Ich als Hip-Hop Fan komme aus einer Zeit, wo Texte von Rapsongs zum Nachdenken angeregt haben, wo Raptexte kritisch waren, wo Raptexte hinterfragt haben, wo Künstler angeeckt haben und ihre Meinung gesagt haben und ihre Reichweite genutzt haben, um auf Themen aufmerksam zu machen, die in den Medien eventuell verzerrt oder einseitig dargestellt wurden. Genetikk weckt diese Nostalgie in einem Hip-Hop Fan wie mir und ich hoffe, dass kritischer Rap, nicht nur im Underground stattfinden muss, sondern eventuell seinen Weg auch wieder vermehrt in den Mainstream findet.
Kritischer, politischer Rap war historisch nie in der Mehrheit und hat auch nie die meisten Platten verkauft, weil POPular Music und der Mainstream sowas nicht hören will, aber an so einem Tiefpunkt wie heute war dieses Subgenre auch noch nicht und ich schaue nach vorne mit der Hoffnung, dass authentischer, kompromissloser Rap mit Message wieder aufblüht.
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