Den inneren Sabbat ehren

Es gibt zwei Reiche in unserem Leben: eines, in dem wir arbeiten und streben wollen, Dinge verändern und verbessern, bekämpfen und besiegen wollen – und eines, in dem es gilt, einfach da zu sein, zuzuhören, wahrzunehmen, die Dinge geschehen zu lassen. 

Gott ruht am Schabbat, russische Bibelillustration von 1696

„Es gibt einen Bereich der Zeit, in dem das Ziel nicht darin besteht, zu haben, sondern zu sein”, schrieb der jüdische Rabbiner und Philosoph Abraham Heschel (1907-1972) in seinem Werk über den Sabbat. An diesem Tag, der auch ein Zustand der Seele ist, geht es darum, “nicht zu besitzen, sondern zu geben, nicht zu kontrollieren, sondern zu teilen, nicht zu unterwerfen, sondern im Einklang zu sein.”

Wenn wir das Gleichgewicht verlieren und nur noch ein Reich bewohnen, gehen die Dinge aus dem Ruder. “Das Leben geht fehl”, schreibt Heschel, “wenn die Kontrolle, der Erwerb von Dingen unsere einzige Sorge wird.“ Dann ist das Leben nur noch ein Besitzen und Besiegenwollen, und wir befinden uns in dem Wahn, die ganze Welt – die Natur, die Gesellschaft, den menschlichen Körper, die menschliche Seele – unterwerfen zu wollen.

Dieser Kontrollwahn zerstört sich letztlich selbst, weil er die Grundlagen der menschlichen Existenz gefährdet.

Doch „wer in die Heiligkeit des Tages eintreten will, muss zuerst die Profanität des klappernden Handels, das Joch der Arbeit ablegen. Er muss sich vom Kreischen der misstönenden Tage, von der Nervosität und der Wut des Erwerbsstrebens und dem Verrat verabschieden, der in der Veruntreuung des eigenen Lebens liegt.”

Der Mensch soll sich, so Heschel, “von der Handarbeit verabschieden und begreifen lernen, dass die Welt bereits erschaffen ist und ohne die Hilfe des Menschen überleben wird. Sechs Tage in der Woche ringen wir mit der Welt und ringen der Erde den Gewinn ab; am Sabbat kümmern wir uns besonders um den Samen der Ewigkeit, der in die Seele gepflanzt ist.“

Wenn wir den inneren Sabbat nicht ehren, d. h. regelmäßig einen inneren Zustand suchen, in dem wir sein und geschehen lassen können, weil wir begriffen haben, dass die Welt auch ohne die Hilfe des Menschen überleben wird, veruntreuen wir damit unser eigenes Leben.

2 Kommentare

  1. „…dass die Welt auch ohne die Hilfe des Menschen überleben wird…“

    Das ist die eine, heute beliebte Sicht vom Menschen in Bezug zur Welt und zur Erde. Eine weitere ist die Vorstellung vom „Staubkorn Erde“.

    Ein andere ist die, dass „Mensch“ ein grösserer Begriff ist als wir ihn zur Zeit begreifen können, weil er auch Welt in sich einschliesst und deshalb mit ihr innigst verbunden ist: das Bild von Mikro- und Makrokosmos.

    Welt kann so nicht ohne Mensch und Mensch nicht ohne Welt sein. Es gibt aus dieser Sicht keinen „Befall er Erde mit Homo Sapiens“ oder was auch immer da für absonderliche Phantasien existieren. Erde und Mensch sind unzertrennbar. Das kann aber nur verstanden werden, wenn wir ein viel weiteres Menschenbild pflegen als das heutige.

    Heutiger Mensch ist erst auf dem Weg zum grossen ICH, das Alle Menschen in sich vereint, die tiefere Dimension der Menschheitsfamilie.

    Um in die Ruhe kommen zu können, muss zwar diese Profanität immer wieder abgelegt werden. Es war aber stets die Ideologie (würde man heute sagen) der Eliten, sich nur dann als Freier fühlen zu können, wenn man dieser Profanität dauerhaft entsagt. Der Freieste war, nach Aristoteles, der Philosoph.

    Nun musste ja auch der Philosoph von irgendetwas leben. Von was denn? Er lebte von der profanen Arbeite der Unfreien. Kartoffeln säen und pflegen sich nicht selbst, auch die Ernte muss besorgt werden usw.

    So sehe ich in Zukunft eine „Alchemie des Alltags“: In sich gehen, Momente der Ruhe und Arbeit in der Welt mit Menschen zusammen: geistige und physische Arbeit, Umwandlungsarbeit der Erde und des Menschen.

    Ohne „Schmarotzereliten“.

    Die Profanität selbst wird zum Akt des In-Sich Gehens. Arbeit im sozialen Kontext als heilende Meditation.

    Wissenschaft als „religiöser Akt“ indem der Seziertisch zum Altar wird. Respekt vor den Wesen der Erde, eine ganz neue Ära des Seins kann anbrechen.

    Ermöglicht wird das durch „Aussparung von Arbeit“ durch Maschinen.

    An der Frage der Maschinen im oder gegen den Sinn des Transhumanismus, entscheidet sich der weitere Entwicklungsgang der Menschheit.

    Die Welt ist nicht definitiv erschaffen, und statisch so und so, sie wandelt sich ständig zu etwas Neuem Die Welt wurde geboren, Neugeborenes entwickelt sich.

    Im Sterben erst entsteht höheres Bewusstsein, für Mensch-Erde-Kosmos. Sterben werde ich um zu leben.

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