Über die Suche nach einer Identität ,nach Auschwitz’ und die Formen des Erinnerns
„Wer Jude ist, bestimme ich“, hat der Wiener Bürgermeister Karl Lueger auf die Frage geantwortet, warum denn in seinem, eines Antisemiten Freundeskreis so viele Juden seien. Wenn es doch nur so einfach wäre, wird man sich denken, und im selben Augenblick: Bloß gut, dass es komplizierter ist. Denn Identität, kollektive zumal, ist nicht erst seit den Zeiten, da sie zu einem Modebegriff der Kulturtheorie avancierte, eine heikle Angelegenheit. Welche Instanz bestimmt, wer oder was jemand sei, wie er sich selbst verstehen, welchem Milieu er zugehören solle und welchem nicht, auf welche Weisen er sich von Mitgliedern anderer Kollektive zu unterscheiden habe? Um die Virulenz dieser Problematik für ein ,jüdisches’ Selbstverständnis zu verdeutlichen, muss man nicht erst auf die fatalen Bemühungen der Nazis verweisen, mittels Zwangszuweisung der Namen „Israel“ und „Sara“ oder des Davidsterns vermeintliche Klarheit in das Chaos zu bringen.
In diesem Sinne stellen die Autorinnen und Autoren des von Ariane Huml und Monika Rappenecker herausgegebenen Bandes „Jüdische Intellektuelle im 20. Jahrhundert“ die Frage nach dem Standort des jüdischen Denkens heute und suchen sie auf vielfältige, zwangsläufig unabgeschlossene Weise zu beantworten. Wollte man die Ergebnisse der 17 Einzelstudien zusammenfassen, die das thematische Feld von den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts bis zur Gegenwart abstecken, so könnte es wohl nur in der Einsicht geschehen, dass jüdische Identität weder je fest umrissen war noch ist. Gerade diese Tatsache aber, so sind sich die Beitragenden einig, begründet den seismographischen Wert nicht nur eines jeden der geschilderten Schicksale von Karl Kraus über Hannah Arendt bis zu Ruth Klüger oder Hilde Domin, sondern überhaupt der gesamten neueren jüdischen Geschichte für die Entwicklungen der Moderne und Nach-Moderne.
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