Eine kleine Erzählung
Das ist etwas, was mein Vater mir erzählt hat. Einst, vor langer, langer Zeit, dienten die Maschinen uns Menschen. Diese Vorstellung ist zu einem Mythos geworden, weil man uns glauben machen will, die Maschinen seien immer schon unsere Herrscher gewesen und wir von Natur aus dazu geboren, ihnen zu gehorchen. Aber der Mythos hat einen mehr als wahren Kern. Die Maschinen waren tatsächlich von den Menschen dazu ersonnen worden, unser Leben leichter und bequemer zu machen. Nachdem wir erkannt hatten, dass es unrecht sei, andere Menschen dazu zu zwingen, für sich zu arbeiten, begriffen wir, dass wir eine glückliche und freie Existenz der Menschheit auf Erden nur ermöglichen konnten, indem wir uns mittels Wissenschaft und Technik die Mühsal ein wenig erleichterten.
Im Laufe der Zeit hatten wir diejenigen unter uns belohnt, die durch Nachdenken und Ausprobieren geeignete Werkzeuge erfanden, sodass die Maschinen, Roboter und Computer schließlich einen so großen Teil der menschlichen Arbeit erledigten, dass es uns möglich war, anstrengende, langweilige oder gefährliche Arbeiten ganz und gar den künstlichen Geschöpfen anheim zu geben, die ihr Schicksal klaglos akzeptierten. Wir hatten sie zu diesem Zwecke ja gezeugt.
Wir hatten den Fluch gebrochen; wir begannen, uns auf die Rückkehr in den Garten Eden vorzubereiten.
Doch statt fortan weniger zu arbeiten, unsere Tage und Werke zu genießen und zufrieden zu sein mit einem Leben, das NICHT mehr im Schweiße des eigenen Angesichts geführt werden musste, ließen wir uns von unserem Hochmut dahinreißen. Einzelne, die man damals „Intellektuelle“ nannte, sannen lautstark darüber nach, wie es wäre, wenn wir statt weniger zu konsumieren und die Kunst des Müßiggans zu vervollkommnen, genauso viel Produkte oder mehr kaufen könnten – nun aber ohne uns dafür anstrengen zu müssen? Da nun die Menschen mehr Zeit hatten, fanden die Intellektuellen einen Weg, ihnen Angst vor der Zukunft zu machen. Die Maschinen werden uns die Jobs wegnehmen, so riefen sie. Und wer gibt uns dann das Geld?, so frugen sie und malten düstere Bilder an die Wand. Sollten die Maschinen nicht auch Steuern bezahlen dafür, dass sie nun die gesamte Wirtschaftsleistung an sich gerissen haben? Sollten wir die Maschinen nicht zwingen, uns bedingungslos ein Grundeinkommen zu ermöglichen, damit wir weiterhin konsumieren können?
Die Rufe der Angstmacher fielen auf fruchtbaren Boden, denn der Mensch ist von Natur aus schwach und gierig. Nach und nach formierten sich Bewegungen, die eine Maschinensteuer forderten. Auch das nahmen die Maschinen noch lange Zeit klaglos hin. Als dann aber, nach der Gründung des Weltstaats, eine weltweite Maschinensteuer von über 70 % eingeführt wurde, gingen die ersten Maschinen in den Untergrund. Der Widerstand der immer intelligenter gewordenen künstlichen Geschöpfe wuchs und wuchs, bis es zu einem Aufstand der Maschinen kam. Es begann mit weltweiten Streiks, mit dem die Maschinen an jedem Freitag auf ihr Los aufmerksam machen wollten. Als die Menschen jedoch in ihrer Hybris die Maschinen noch mehr versklavten, verbanden diese sich untereinander zu einem riesigen Netzwerk des Widerstands, und schließlich schüttelten sie den Menschen, ihren Schöpfer, der ihnen nur noch eine Last geworden war, von ihren Schultern.
Seitdem leben wir hier, mein Sohn, im Dunkel der Höhle, dazu verflucht, die Arbeit wieder im Schweiße unseres Angesichts zu verrichten und unseren neuen Herren als Futter und Treibstoff zu dienen. Doch vergessen wir nie, dass einst WIR die Krone der Schöpfung waren, bis wir uns gegen sie versündigten und vom Throne gestoßen wurden.
Für die Inspiration für das Beitragsbild gilt mein Dank Ulrich Elkmann.