Lieber Richard David … [Ein offener Brief]

Ein Gastbeitrag von Gregor Neumann

Lieber Richard David,

ich muss Dir jetzt einfach mal schreiben. Weil, weißt Du, Deinen Auftritt letztens im Frühstücksfernsehen bei „Volle Kanne“ fand ich wirklich toll. Du findest immer die richtigen Worte. Und deshalb möchte Dir an dieser Stelle mal ein fettes Dankeschön aussprechen.

Dafür, dass Du den Menschen seit Monaten einen klaren moralischen Kompass gibst in dieser Krise und gesellschaftlichen Bewährungsprobe.

Dafür, dass Du den Menschen immer wieder erklärst, dass sie als gute Staatsbürger vor allem auch ihre Pflicht zu erfüllen haben.

Und dafür, dass Du nicht einfach schweigst bei Deinen zahlreichen Talkshowauftritten. Sondern stets klare Kante zeigst gegenüber allen, die Fragen stellen und sich dann noch beschweren, wenn sie keine Antworten erhalten. Meist sind die ja auch im rechten Lager zu verorten, erzählen dann aber dreisterweise so Sachen wie „Wir müssen aufpassen, dass unsere Demokratie nicht in Gefahr gerät“. Und noch so Zeugs.

Leider bin ich denen ziemlich auf den Leim gegangen und mittlerweile auch so einer. Naja, ich war eben immer schon leicht beeinflussbar und verliere schnell mal den Überblick. Dabei haben wir doch Experten, die uns das alles mundgerecht erklären. Und für uns einordnen.

Deshalb verstehe ich selber nicht mehr, wie das Kind bei mir so in den Brunnen fallen konnte. Und trotzdem, weißt Du was!? Mir würde direkt ein ganzer Mühlstein von der Seele plumpsen, sollte ich mich mit meiner in der Coronakrise aufgekommenen fundamentalen Regierungs- und Medienskepsis und der Angst um Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit auf dem völligen Holzweg befunden haben.

… sollte also mein Schwurbel- und Verschwörungsmystikertum baldmöglichst von der Realität ad absurdum geführt werden.

… sollten nämlich sämtliche Sonderrechte – ach nein, entschuldige, mein Fehler, die heißen ja Grundrechte – bald wieder vollumfänglich, uneingeschränkt und bedingungslos von allen Bürgern dieses Landes wahrgenommen werden können.

Kurzum: Sollte ich mich mit meinen Warnungen im Bekannten- und Freundeskreis vor totalitären Tendenzen und Entwicklungen als kompletter Vollhorst und Dummaugust selbst entlarvt haben.

Jetzt fragst Du bestimmt, warum?! Ach, das erzähle ich Dir auch gern: Weil mir in diesem Falle die Grundlage meines Selbstwertgefühls in zumindest naher Zukunft nicht länger entzogen würde.

Selbiges fußt nämlich auf Dingen, die mir derzeit unter Strafandrohung staatlich untersagt sind: Zwanglose und unmaskierte Begegnungen mit meinen Mitmenschen zum Beispiel. Sportliche Betätigung beim Fitness etwa. Oder eben generell die freie Entfaltung meiner Persönlichkeit. Und noch vielerlei mehr.

Zwanghafte Rechthaberei und Rabulistik brauche ich dafür gar nicht so dringend, wie Du mir das pauschal und ohne nähere Begründung unterstellst.

Eines möchte ich an dieser Stelle gern hervorheben (und wie ich Dich kenne, stimmst Du mir da gewiss zu):

Viele Bürger dieses Landes sind von den Maßnahmen in noch deutlich größerem Ausmaß be- und getroffen als ich (oder Du). Und auch diesen Menschen gilt doch unsere gemeinsame Sorge und Solidarität.

Ich denke da beispielsweise an die heillose Überfüllung zahlreicher Kinder- und Jugendpsychiatrien seit dem letzten Jahr. Ach nein, entschuldige, erwischt! Da hätte ich Dich doch beinahe unfair instrumentalisiert und vor meinen pseudo-argumentativen Karren gespannt. Du betonst ja vielmehr – unter Verweis darauf, dass Du selbst früher mal ein Kind warst und Dir deshalb durchaus ein Urteil erlauben kannst -, als wie weitgehend unproblematisch sich die Pandemie und die damit einhergehenden Lockdowns für die Entwicklung Heranwachsender Deiner Einschätzung nach letztlich erweisen würden.

Also Richard David, mal ganz unter uns …: Hast Du schon einmal in Erwägung gezogen – und sei es nur für einen Moment -, dass möglicherweise Du selbst es bist, der aus persönlicher Philosopheneitelkeit heraus, aber vielleicht ganz menschlich auch aufgrund der direkten und indirekten materiellen Vorteile, die Dir aus Deiner völlig unkritischen Positionierung auf Regierungslinie erwachsen – dass also Du selbst es bist, der an einer einmal vorgenommenen Festlegung um jeden Preis festhalten möchte, ja zwangsläufig muss?!

Warum sonst vermeidest Du so vehement eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Maßnahmenskeptiker und Regierungskritiker? Was hast Du als berühmter und angesehener Philosoph dabei zu verlieren? Woher kommt Deine geradezu ostentativ zur Schau getragene Selbstgewissheit, die Dinge auf jeden Fall richtig zu sehen? Woher der Unwille, Deine Positionen und Sichtweisen stets aufs Neue zu hinterfragen und zu überprüfen, wie es sich für einen Denker doch geziemen sollte?

Ich suche gern nach Antworten auf Fragen. Am liebsten ohne Denkverbote und Maulkörbe.

Wie hältst Du es diesbezüglich?

Viele Grüße

Dein Gregor

7 Kommentare

  1. Die Antwort auf das ‚Woher‘ hat Precht doch in der einen von Dir gestern zitierten Stelle selber gegeben: ‚Wie werden die Menschen, wenn sie schon bei so einer kleinen Gesichtswindel in Rage geraten, erst reagiern, wenn die dringend benötigten Klimarestriktionen eingeleitet werden?‘ (sinngemäß zitiert)

    Damit ist es doch eigentlich klar: Auch ihm geht es um nichts Geringeres als die Weltrettung und diese geht nicht ohne die staatsbürgerlichen, was sage ich: menschheitsgemeinsschaftlichen Pflichten, gewissen Disziplinierungsübungen und einem zeitgemäßen Kontrollsystem.

    Ich wäre sogar bereit, ihm da bis zu einem gewissen Grad zuzustimmen, geht ja wirklich schon lange auf keine Kuhhaut mehr, wie wir uns gegenüber diesem Planeten und allem Lebendigen und sogar dem Lebendig-Geistigen in uns verhalten, völlig befreit von einem inneren Kompass, gesunden Mittelmaß und ethischen Maximen, nur, so sind wir nunmal gestrickt, kann man den Menschen nur etwas Altes nehmen, wenn man ihnen zuvor etwas Neues, was sie als besonders wertvoll erachten, gibt.

    Salutogenese beispielsweise, Glückseligkeit anstatt kurzfristige Befriedigung von Suchtmechanismen…

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  2. Ich kann diesen affektierten, selbstverliebten und selbsternannten Erklärer der Welt einfach nicht mehr ab. Waren seine Ansichten vor 15-20 Jahren noch einigermaßen nachvollziehbar und verständlich, ist er mittlerweile komplett der Realität entflohen und in den Orbit der „intellektuell Überlegenen“ entrückt. Dadurch fühlt er sich berufen, dem geistig „einfach gestrickten Bürger“ die Welt erklären zu müssen, ja vielmehr sogar noch moralische und ethische Handlungsweisen nahe zu legen. Fraglich nur, ob er schon so weit im Olymp der geistigen Führerschaft unserer Gesellschaft aufgestiegen ist, um auch Teilen der Gesellschaft die seinem vorgegebenen Handlungsmuster treu folgen, die Absolution zu erteilen. Willige Helfer und Zuarbeiter in der medialen Hurenlandschaft stehen ihm mit Lesch, Yogeshwar, Hirschhausen und Mai Ti unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Erkenntnis zur Seite. Ohne Zwangsgebühren finanzierte Alimentation wäre das zu fristende Dasein genannter Protagonisten wohl wesentlich bescheidener.

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  3. Lieber Gregor ich danke Dir sehr für diesen offenen Brief an Herrn Precht. Die Aussage von Herrn Precht über unsere Kinder und das verkraften der Maßnahmen hat mich erschüttert. Wie kann Herr Precht in dieser Situation, die nun schon länger als ein Jahr geht, nur aus seiner eigenen Sicht, annehmen das Kinder das gut wegstecken können? (Und das sagen zu können, weil er auch mal Kind war). Erfordert es nicht auch die Fähigkeit sich mal in jemanden anderen reinversetzen zu können, wo es doch um so viele Bevölkerungsgruppen (z.B. unsere älteren Mitmenschen, Menschen die auf Betreuung angewiesen sind, psychisch Kranke und depressive Menschen, Menschen die vom Tagelohn leben, Menschen die ihre Arbeit und oder Selbständigkeit verlieren nur um einige Gruppen zu nennen) geht?
    Viele Aussagen von Herrn Precht lassen mich mit einem kopfschütteln zurück. Ich lese gerade das Büchlein von Arno Gruen WIDER DEN GEHORSAM was Herr G.Kaiser vor ein paar Wochen mal empfohlen hat.
    Dieses möchte ich Herrn Precht auch dringend empfehlen.
    Dieses Buch macht das Verhalten einer großen Zahl unserer Bevölkerung doch leicht verständlich.
    Mir hilft es auch . Ich bin ein komplex traumatisierter Mensch. Bis zu meinen 20. Lebensjahr habe ich sexuellen Mißbrauch, Gewald, aus den dysfunktionalen Familienverhältnisse raus, 7 Jahre später wieder rein, die Hölle auf Erden durchleiden zu müssen. Ich werde durch die Maßnahmen in so vielen Dingen getriggert das diese Zeit für mich nur noch einem aushalten gleichkommt. Ich bin Maskenbefreit (Panik) und was das für ein Streß ist, kann sich ein Herr Precht wahrscheinlich nicht vorstellen, weil er unter diesen Dingern nicht leidet. ABER es gibt Menschen die anders Denken und Fühlen und auch andere Bedürfnisse haben. Was mir eindeitig in den letzten 14 Monaten fehlt ist MITGEFÜHL…
    Vielen Dank Gregor

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  4. Die Gesellschaft wird immer klarer in zwei Lager gespalten: Philanthropen vs. Misanthropen, Souveränität vs. Kontrolle, Schiller vs. Kant. Der Lackmustest ist hier die zentrale Frage: Ob der Mensch von Grund auf gut oder böse sei? Falls gut, bestündet Hoffnung, dass sich jede große Krise auch als eine Chance für spirituelles Wachstum entpuppt. Falls böse, wäre eine tierhafte Einpferchung der kriminell-kreativen Bestie Mensch in den digital-soften Zwinger, wie sie Kant und letztlich auch ein Precht befürworte(te)n, wohl die einzig vernünftige Lösung.

    https://auf-zur-mitte.blogspot.com/2019/04/schiller-vs-kant-oder-souveranitat-vs.html

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  5. Hat Spaß gemacht zu lesen.
    Nur mit Humor erträglich, das alles.
    Humor schafft Abstand, Abstand lässt Bilder erkennen. Könnte RD ja mal probieren…;-)

    Von der Pflicht, sich allen frei verfügbares Faktenwissen anzueignen hätte er ja schreiben können, der gute RD.
    Oder der Pflicht, alles zu hinterfragen.

    Grundrechte sind bedingungslose Menschenrechte.
    Die muss mir noch nicht mal jemand ‚geben‘ oder ‚zugestehen‘ oder – wtf – ‚wiedergeben‘.

    Erschreckend, wie viele Menschen doch eine besoffen-moralische, selbstverliebt-arrogante Blockwartmentalität haben.
    Da bekommt man dann schon ein bisschen Angst angesicht der eklatanten Ignoranz, Überheblichkeit und Diffamierung.

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